Mehr als 600 Menschen waren auf der Auftaktveranstaltung des Dinslakener Bündnis am vergangenen Montag. Vertreter von Parteien, Kirchen und Organisationen zeigten zusammen mit den Bürgern ihre Solidarität mit Leidtragenden der Corona-Pandemie. Neben Bürgermeisterin Michaela Eislöffel nahm auch Krankenhaus-Seelsorgerin Petra Schorberger-Waldhausen in einer bewegenden Rede Stellung. Anbei der Redebeitrag zum Nachlesen:
Zunächst möchte ich mich bedanken, dass ich heute Abend hier sprechen darf.
Ich bin gebeten worden, dies als Krankenhauspfarrerin in den beiden Krankenhäusern in Dinslaken zu tun.
Die letzten beiden Jahre waren in den Krankenhäusern natürlich von der Pandamie bestimmt.
Die Medien haben des öfteren davon berichtet.
Die ersten Wellen waren für mich von großer Verunsicherung im Krankenhaus geprägt: wir waren völlig unvorbereitet für das, was kommen würde. Es herrschte Mangel: genähte Masken wurden organisiert, viele Hände haben ihre letzten Baumwollreste vernäht, Gummiband war ausverkauft, es war nicht ausreichend Schutzkleidung für das Personal vorhanden,
Viele PatientInnen sind gestorben, das Pflegepersonal hat sich alle erdenkliche Mühe gegeben, sind z.T. selbst erkrankt am Virus, manche haben bis heute noch mit den Folgen der Erkrankung zu tun. BesucherInnen durften nicht in die Häuser. Das war bitter für alle Beteiligten, insbesondere für die Sterbenden und ihre Angehörigen, aber unvermeidbar…
Und trotzdem, Ärzte, medizinisches und das gesamte Personal, auch wir Seelsorgenden haben versucht zu tun, was möglich war an Begleitung.
Soweit möglich, musste niemand allein sterben. Ehefrauen, selbst an Covid erkrankt, deren Ehemänner gestorben sind, habe ich unterstützt, Sterbende begleitet.
Wie froh waren wir, als wir ausreichend Schutzkleidung bekamen und welch große Erleichterung haben dann die ersten Impfungen gebracht für alle Mitarbeitenden im Krankenhaus, angefangen bei den Putzkräften bis hin zu den Krankentransporten. Für uns alle war die Impfung ein Segen.
Wir waren dankbar für die schnelle Entwicklung von Impfstoffen, und konnten wieder – bei aller Vorsicht unbefangener mit den Erkrankten umgehen, ohne Angst selbst infiziert zu werden oder das Virus weiterzutragen.
So ging es auch mit der zweiten und dritten Impfung, die wir recht früh bekommen konnten.
In den unsichersten Zeiten waren keine Besuche möglich, verschiebbare OPs wurden verschoben. Trotzdem habe ich auf den Stationen erlebt, dass Angehörige zu Sterbenden kommen durften, wenn eben möglich, wenn auch zum Schutz von Angehörigen und Personal eingeschränkter.
Auch in dieser Zeit gab es viel Verunsicherung, auch für mich. Das Virus ist und bleibt unberechenbar.
Das erleben wir ja in den letzten Wochen überall auf der Welt.
Waren die Infektionszahlen noch vor zwei Monaten z.B. in Spanien sehr niedrig, steigen sie in den letzten Wochen durch die Virusvarianten – jetzt Omikron – wieder rasant.
Zum Glück, das kann man auch in den Medien verfolgen ist nur in seltenen Fällen ein Krankenhausaufenthalt notwendig.
Trotzdem bleibt die Sorge, wie es weitergeht.
Heute zeigt sich eher die Problematik in der kritischen Infrastruktur auch im Krankenhaus:
Kann die Versorgung der Kranken aufrecht erhalten bleiben?
Nur gegenseitige Rücksichtnahme, Vorsicht im Kontakt und Impfung sind unabdingbar, damit der Krankenhausbetrieb und alle Versorgungsbetriebe, die zum täglichen Leben – ja Überleben gebraucht werden- sei es Energie und Wasser, Lebensmittelversorgung, weiterlaufen kann.
Die Einblicke in die Krankenhäuser, als einerseits im System Krankenhaus Mitarbeitende, aber doch auch von außen Schauende, haben meine Einstellung zur Pandemie natürlich stark beeinflusst.
Ich habe Kontakt zum Personal, zu den Kranken, zu den Besuchenden.
Ich habe Verständnis für Angehörige, die ihre Lieben intensiver länger und öfter als vorgeschrieben, besuchen möchten.
Ich habe Verständnis für die Probleme der Mitarbeitenden in diesen Zeiten, die zu Hause ihre Kontakte haben, sich anstecken können.
Ich habe kein Verständnis für BesucherInnen, die ihren Unmut an Mitarbeitenden auslassen.
Ich habe bedingt Verständnis für Menschen, die sich nicht impfen lassen möchten, aus welchen Gründen auch immer, wenn sie mit dieser Haltung rücksichtsvoll anderen Menschen gegenüber sind.
Ich habe kein Verständnis für Menschen, die Corona leugnen und rücksichtslos diese Haltung leben.
Und ich habe erst recht kein Verständnis für Haltungen, die Pandemie benutzen, für ihre menschenverachtende, gewalttätige Gesinnung.
Ich denke es ist vielmehr notwendig, in guter Abwägung zu handeln.
Neben der Sorge, hier bei uns, dass die kritische Infrastruktur aufrecht erhalten bleiben kann, hoffe ich sehr, dass die weltweite Situation der Pandemie nicht aus dem Blick verloren geht. Auch wenn das Auswärtige Amt am 7. 1. 2022 berichtet,, dass Deutschland sich schon früh stark gemacht hat für eine gemeinsame und solidarische Antwort auf die global weiterhin virulente Pandemie und das Thema auch prominent auf die Agenda der G7-Staaten gesetzt wurde, denen Deutschland ab dem 1. Januar vorsitzt.
Konkret soll es dabei um die Stärkung der internationalen Gesundheitsarchitektur und eine nachhaltige globale Impfstoffgerechtigkeit gehen.
Zum Schluss möchte ich einige Regeln unseres Präses Thorsten Latzel zitieren, der auf eindrückliche Weise 7 Goldene Regeln formuliert hat, wie wir über Corona diskutieren sollten
Sieben goldene Regeln, wie wir über Corona diskutieren sollten
- Wir reden nicht übereinander als „die Geimpften“ und „die Ungeimpften“, sondern wertschätzend als Menschen mit Menschen – gerade auch dann, wenn wir anderer Meinung sind.
Das ist ein Gebot der Feindesliebe, die in der oder dem anderen immer mehr sieht als den Träger einer Eigenschaft.
- Jede und jeder muss die Möglichkeit haben, die eigene Meinung gesichtswahrend zu ändern.
Wir befinden uns in einem gemeinsamen Lernprozess und unter hoher Belastung. Wir werden auch nach der Pandemie weiter als Angehörige, Freundinnen, Kollegen miteinander umgehen müssen.
- Wir gehen von öffentlich geteilten, wissenschaftlichen Erkenntnissen aus.
Ob die Erde rund ist, klärt die Physik, wie wir Viren behandeln können, Medizin und Virologie. Hier gibt es kein weltanschauliches oder religiöses Sonderwissen – im Gegenteil hilft Glaube, wohlbegründeten Erkenntnissen von Fachleuten zu vertrauen.
- Wissenschaftler-/innen können sich irren, das gehört zum wissenschaftlichen Erkenntnis-Prozess.
Dies kann aber nur im gemeinsamen, öffentlichen Diskurs aufgrund von überzeugenderen, wissenschaftlichen Argumenten geklärt werden, nicht in abgesonderten Internetforen oder Chatgruppen.
- Wir respektieren die Menschen, die in der Krise besondere öffentliche Verantwortung tragen.
Die Abwägung von Gesundheitsschutz und Grundrechtseinschränkungen ist oft schwierig und muss öffentlich diskutiert werden. Dazu haben wir Meinungsfreiheit und eine demokratisch funktionierende Gewaltenteilung.
- Wir widersprechen allen, die andere diffamieren, Ängste schüren oder gar zu Gewalt aufrufen.
Über Ängste und Sorgen müssen wir miteinander reden. Hass und Gewalt beginnen jedoch oft schon bei der Sprache – dafür gibt es keine Rechtfertigung, nicht bei Corona und auch nicht sonst.
- „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch!“ (Matt 7,12)
Die goldene Regel gewinnt in Pandemie-Zeiten nochmals besondere Bedeutung, auch für die Frage, wie wir uns gegenseitig am besten schützen können.
Ich danke für ihre Aufmerksamkeit – Bleiben Sie zuversichtlich und behütet.