Dinslaken/Lesbos. Ein kleines Boot erscheint am Horizont, es kämpft sich durch die Wellen der Ägäis. Ein Wettrennen, das möglichweise über Leben und Tod entscheidet, beginnt: Wer wird das Flüchtlingsboot, dass auf die griechische Insel Lesbos zusteuert, als erstes erreichen? Die freiwilligen Helfer oder die Küstenwache? „Wenn die Küstenwache gewinnt, kann es passieren, dass das Schiff zurück zur türkischen Küste geschickt wird“, berichtet Hanke Ibbeken. Die Pfarrerin der Ev. Kirchengemeinde Götterswickerhamm besuchte jetzt mit einer 7-köpfigen Delegation die Flüchtlingshilfsorganisation Lesvos Solidarity vor Ort. „Das ist nur eine Form der „Push backs“, mit denen die Geflüchteten davon abgehalten werden sollen, in die EU einzureisen. Es gibt auch maskierte Trupps, die den Menschen am Strand auflauern und ihnen Papiere, Geld und Handys wegnehmen. Viele werden auf eine Rettungsinsel verfrachtet und aufs Meer zurückgeschickt“, erzählt Hanke Ibbeken.
Diese Erlebnisse sind nur die Spitze des Eisbergs. Wie menschenunwürdig die Frauen, Kinder und Männer, die es doch auf die Insel geschafft haben, behandelt werden, berichtet eine Psychologin. Die Griechin arbeitet bei „Ärzte ohne Grenzen“. Zuvor war sie im Camp Mavrovouni, dem Flüchtlingslager der Insel Lesbos, tätig. „Sie hat es dort aber nicht mehr ausgehalten“, erzählt die Pfarrerin. Denn in dem von Mauern und Nato-Draht umzäunten Areal herrsche strukturelle Gewalt. Zudem gebe es viel zu wenig Dolmetscher für die rund 2000 Bewohner. Die Ankommenden müssten beispielsweise innerhalb der ersten Tage einen Asylantrag stellen, wüssten dies jedoch gar nicht. „Die Menschen verstehen überhaupt nicht, was mit ihnen passiert“, so Hanke Ibbeken. „Es gibt einfach zu wenig Hilfestellung. Dies ist kein faires Asylverfahren. So, wie es von einigen Politikern behauptet wird“, sagt Gerhard Greiner, Flüchtlingspfarrer i.R., der ebenfalls mit nach Lesbos gereist ist. Er und sein Frau Edith Bruckwilder sind die Begründer des Dinslakerner Unterstützungsteams für Lesvos Solidarity (siehe Kasten). Die Delegation hätte gerne selbst das Lager besucht. Dies ist jedoch für Besucher nicht zugänglich. Hilfsorganisationen, die im Camp arbeiten wollen, müssen sogar eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben.
Lesvos Solidarity selbst hat ihr Hauptquartier in der Hauptstadt Mytilini. Das Mosaik Support Center ist eine Anlaufstelle für die Geflüchteten. Dort können sie die Hilfe von Psycholog*innen und Anwält*innen in Anspruch nehmen. Zudem gibt es dort eine Kleiderkammer und es werden Sprach- sowie Integrationskurse angeboten. In der Nähwerkstatt werden von festangestellten Geflüchteten und Inselbewohnern die bekannten Safe-Passage-Bags hergestellt. Sie werden aus an der Küste angespülten Materialien wie Rettungswesten, Bootsrückständen oder Plastikflaschen zusammengenäht. „Die Menschen werden dort ganz herzlich begrüßt. Es herrscht eine unglaubliche Willkommens-Atmosphäre“, erzählt Hanke Ibbeken.
„Aktuell bietet das Team auch Foodboxen für die Geflüchteten an“, so Edith Bruckwilder, die auch der Delegation angehörte. Dieses neue Angebot habe jedoch einen sehr traurigen Hintergrund: Seit Mitte Mai bekämen Geflüchtete im Camp, deren Asylantrag abgelehnt oder bewilligt wurde, kein Essen mehr. Auch bedürftige Anwohner könnten dieses Essens-Angebot in Anspruch nehmen. „Efi Latsoudi, Leiterin von Lesvos Solidarity, ist das Miteinander sehr wichtig“, berichtet Gerhard Greiner. So sei beispielsweise auch der Kindergarten vor Ort nicht nur geflüchteten Kindern zugänglich.
Seit 2017 engagiert sich die Gruppe um Gerhard Greiner und Edith Bruckwilder für die Organisation auf Lesbos. Bis heute konnten schon rund 110.000 Euro an Spenden gesammelt werden. „Wir bekommen sehr viel Unterstützung von Ev. Kirchenkreis Dinslaken, den Ev. Gemeinden und den Einrichtungen“, berichtet Edith Bruckwilder. Aktuell werden Spenden für das jüngste Projekt von Lesvos Solidarity gesammelt. „Das Restaurant Nan ist eine Volksküche: jeder kann dort – auch sozial schwache Griechen – kostenlos essen“, so Gerhard Greiner.
Wer mehr über die Reise und die Projekte von Lesvos Solidarity erfahren möchte, kann sich am 21. August um 19 Uhr im Gemeindesaal der Ev. Kirchengemeinde Dinslaken, Duisburger Str. 72, in Dinslaken den Erfahrungsbericht mit Bildern anhören. Wer spenden möchte, kann sich an den Eine-Welt-Laden in Dinslaken wenden. kontakt@eineweltladen-dinslaken.de
Infos:
Lesvos Solidarty wurde 2016 ins Leben gerufen. Das Begegnungscenter der Organisation, das Mosaik Support Center, ist eine Art Volkshochschule. Dort können die Menschen an unterschiedlichen Sprachkursen in Griechisch, Englisch, Arabisch und Farsi teilnehmen. Zudem werden noch Computerkurse und Integrationskurse angeboten. Außerdem ist dort das „Legal Center Lesvos“ untergebracht, eine Anlaufstelle für die Rechtsberatung in den Asylverfahren. Zudem hat die Organisation ein Wohnprojekt für Frauen und Kinder realisiert.
Seit Dezember 2017 werden die Safe-Passage-Bags im Eine Welt Laden in Dinslaken verkauft. Der Kontakt zu der Organisation entstand auf einer Studienreise von Edith Bruckwilder und Gerhard Greiner nach Athen. Dort wurden sie vom Europabeauftragten der Bundes-Flüchtlingsorganisation PRO ASYL, Karl Kopp, auf das Projekt aufmerksam gemacht. Mittlerweile hat auch die GEPA auf Initiative von Edith Bruckwilder die Taschen in ihr Sortiment aufgenommen. Mit Erlös der Taschen werden die Arbeitsstellen der Näher*innen finanziert.
2018 reiste das erste Mal eine Gruppe aus Dinslaken nach Lesbos, um sich die Arbeit vor anzuschauen.
2023 reiste erneut eine Delegation aus Dinslaken nach Lesbos
Fotos/Ibbeken/Lesvos Solidarity: Eingang zum Flüchtlingscamp Mavrovouni; Essensverteilung; Mitarbeitende in der Foodbox; Aktion gegen Push Backs; die Dinslakener Delegation im Gespräch mit Mitarbeitenden von Lesvos Solidarity; die Nähwerkstatt; das Restaurant Nan.