Rede bei der Veranstaltung des Dinslakener Bündnisses am 7. März 2022 (Menschenkette) zum Krieg in der Ukraine von Pfr. i.R. Gerhard Greiner:
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
mein Name ist Gerhard Greiner. Ich bin der ehemalige Flüchtlingspfarrer des Ev. Kirchenkreises Dinslaken und spreche heute Abend zu Ihnen für das Dinslakener Bündnis.
Als wir diese heutige Veranstaltung planten, konnten wir uns nicht vorstellen, was am Morgen des 24. Februar beginnen würde, nämlich der Angriffskrieg des Verbrechers in Moskau, Wladimir Putin. Wir haben im Dinslakener Bündnis entschieden, mit der Menschenkette, die wir nachher bilden werden, Beides miteinander zu verbinden: Wir denken an das Leiden der Menschen unter Corona hier bei uns und an das Leiden der Menschen in der Ukraine unter diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Unsere Demokratie ist von Beidem in ganz fundamentaler Weise betroffen.
Seit dem 24. Februar – dem Black Thursday – fühlen wir uns in einer anderen Welt. In Europa herrscht nach rund 30 Jahren wieder Krieg. Menschen haben Angst um ihre Leben, haben sich in Häuser zurückgezogen, von denen sie nicht wissen, ob sie ihnen Schutz bieten, fliehen in Metrostationen in Kiew, wenn die Sirenen aufheulen. Kinder werden in diesen Krieg hinein geboren. Und es herrschen Todesangst und verzweifelte Hoffnung. In einem Fernsehbericht sagte ein etwa 5 jähriges Mädchen, tränenüberströmt in einem Kiewer Metrotunnel sitzend: „Ich will, dass das Alles aufhört.“
Aber was interessiert diesen Moskauer Zyniker ein solcher Satz eines kleinen ukrainischen Mädchens. Putin lässt ganz bewusst die Zivilbevölkerung töten. Gezielt werden Wohnhäuser, Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten angegriffen. Putin meint in seinem völkischen Weltbild, sich die Ukraine einfach einverleiben zu können. Putin hat sehr oft den russischen Philosophen Iwan Iljin in seinen Reden zitiert. Und Iljin sagt: „Der Erlöser hat die Pflicht, Kriege zu führen und das Recht, zu bestimmen, gegen wen.“ Krieg sei gerechtfertigt, wenn „die spirituellen Errungenschaften der Nation bedroht sind.“ – Ich frage: Kommt uns das nicht bekannt vor?
Wir wollten nicht begreifen, wen wir da vor uns haben, diesen Kriegsfürsten, der 1999 noch als Ministerpräsident den zweiten Tschetschenienkrieg begann, der bis April 2009 dauerte, der 2008 den Blitzkrieg in Georgien führen lies, der die Krim 2014 überfiel und es im Donbas seitdem Krieg gibt, der im September 2015 gemeinsam mit dem syrischen Diktator Assad die syrische Bevölkerung terrorisiert und und und und.
Jetzt fangen wir langsam an zu begreifen, dass die ganze Zeit kein Friede war. In der Ukraine schon lange nicht mehr.
Mascha Kaleko, die große deutsche Lyrikerin, die zeitlebens kein zuhause fand in dieser Welt, hat einmal ach so treffend formuliert:
„Ich bin als Emigrantenkind geboren
In einer kleinen, klatschbeflißnen Stadt,
Die eine Kirche, zwei bis drei Doktoren
Und eine große Irrenanstalt hat……….
Im ersten Weltkrieg kam ich in die achte
Gemeindeschule zu Herrn Rektor May.
Ich war schon sechs, als ich noch immer dachte,
daß, wenn die Kriege aus sind, Frieden sei.“
Vor 30 Jahren hatten wir zuletzt in Europa Krieg. Aber das ist in diesem Land bis in die Politik hinein vergessen. Ich meine jene Kriege auf dem Balkan. So u.A. der Völkermord von Srebrenica. Die vielen Massaker im Kosovo. Meine Frau und ich waren vor zehn Jahren dort an diesen Orten des Grauens.
Ich sehe die Flüchtlinge aus Bosnien und dem Kosovo mit ihren aufgerissenen Augen immer noch vor mir. Es war meine Zeit als Flüchtlingspfarrer hier in Dinslaken.
Und ich sehe dieselben Bilder jetzt wieder, diese angstvollen Gesichter der Geflüchteten aus der Ukraine, die es zu uns geschafft haben.
Ihr seid uns willkommen. Was denn sonst? Die Grenzen müssen für alle Fliehenden aus der Ukraine offen sein.
Ihr seid uns willkommen trotz der über 120.000 an Corona Gestorbenen hier bei uns in Deutschland. Sie sind uns willkommen, gerade weil dort drüben an der Kathrin Türks Halle die Kreuze stehen.
Das gilt aber auch für all die anderen Flüchtlinge, die hier in Dinslaken bereits leben, z.B. die Geflüchteten aus Afghanistan.
Ich möchte schließen mit einem ganz kurzen Wort noch einmal von Mascha Kaleko. Wie gesagt: Ihr blieb als Heimat nur das Wort. Und dieses Wort gilt in Zeiten von Corona und in Zeiten dieses so furchterregenden Krieges. Es geht so:
„Die Nacht, in der das Fürchten wohnt, hat auch die Sterne und den Mond.“
Ich danke Ihnen!